Im allgemeinen wird Lebensführung aus handlungstheoretischer Perspektive beschrieben. In dieser Perspektive würden wir versuchen, Handlungen und Tätigkeiten wie Hausarbeit oder Erwerbsarbeit oder Familienarbeit voneinander zu unterscheiden und damit zu identifizieren, ausschließlich eine Theorie der Lebensführung zu entwerfen, die dann auch empirisch erforscht werden kann. Ein anderer Weg kann beschritten werden mit der systemtheoretischen Perspektive.
In der systemtheoretischen Perspektive wird gefragt, wie aus Unordnung Ordnung entsteht. Das Universum, die Lebenswirklichkeit, verschiedene Umwelten werden als „komplex“ vorausgesetzt und die interessante Frage ist wie aus dem Chaos des Universums soziale Ordnungen entstehen.
Die zentrale Unterscheidung der Beschreibung des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuen ist Inklusion und Exklusion. Inklusion bedeutet sozialtheoretisch die kommunikative Teilnahme an der Gesellschaft, genauer gesagt an ihren sozialen Systemen, aufgrund von „relevant sein“. Exklusion bedeutet das Gegenteil, nämlich „irrelevant zu sein“ für die sozialen Systeme der Gesellschaft, genauer gesagt für ihre kommunikativen Operationen.
Eine systemtheoretische Perspektive auf Lebensführung hat zu verbinden den Tatbestand von Sinn-Verarbeitung als Begleiterscheinung der Evolution, Inklusion und Exklusion als Kopplung von Gesellschaft und Individuum, der von innen und von außen betrachtet werden kann, und die verschiedenen funktional differenzierten Systeme der Gesellschaft. Dies führt zu folgender Definition:
Lebensführung (Außenseite) ist ein sinnreguliertes Arrangement von zeitlich, sachlich und räumlich zu ordnenden Inklusions- und Exklusionskombinationen hinsichtlich sozialer Systeme bzw. Teilsysteme zur Erfüllung biopsychischer Funktionserfordernisse des Individuums, das als »Dividuum« die personale Umwelt der Gesellschaft (d.h. ihre biopsychische Voraussetzung) bildet.
Lebensführung (Innenseite) gelingt immer schon, denn jedes Individuum steht zu einem irreduziblen Teil in der Lage, sein Leben sinnhaft zu ordnen, es psychosomatisch zu regulieren, es kommunikativ zu organisieren, sich vorübergehend mit widrigen Umständen arrangieren zu können und einen wenn auch vagen, wenn auch noch nicht bezeichnungsfähigen Entwurf oder eine wenn auch noch sprachlose Ahnung davon zu haben, was es sich unter einem passenderen Leben vorstellt.
Lebensführung ist mehr und mehr durch überraschende Wendungen, nicht vorhersehbare Gelegenheiten und kreative Anschlüsse – sprich: durch den notwendig werdenden Umgang mit unerwartet auftauchender Ambivalenz – gekennzeichnet. Daher lautet die Devise der Lebensführung: improvisieren, anpassen, bewältigen. Nicht Gott unterscheidet und entscheidet für uns, sondern das SELBST wird gesellschaftlich dazu angehalten zu unterscheiden (frei nach dem berühmten Niebuhr zugeschriebenen Gelassenheitsgebet (wahrscheinlich 1943, vgl. Sifton, z.n. Wirth 2014):
„Das SELBST gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Im Original: