Obwohl die hohe Zeit der sozialwissenschaftlichen Postmoderne-Diskussion vorbei zu sein schien, gibt es einige Anzeichen dafür, diesen soziokulturellen Erkenntniszusammenhang mit seinen Zielsetzungen und Absichten nicht zu früh ad acta zu legen.
Dafür ist es notwendig, sich zu erinnern, worum es der Postmoderne vom Grundsatz her ging. Dass sie in verschiedener Weise überinterpretiert bzw. fehlinterpretiert wurde, lässt sich wohl kaum der postmodernen sozialen Philosophie selber zu rechnen. Allerdings lässt sich sagen, dass in einer heißen Periode allzu viele Beiträge und Meinungen sich auf die Postmoderne beriefen, sodass das Konzept undeutlich und unscharf wurde.
Auch im Hinblick auf die sozial-ökologische Zerstörung des Ökosystems Erde lässt sich jedoch konstatieren, dass eine Reihe von Punkten, die die Postmoderne-Diskussion kritisch eingebracht hatte, an Aktualität weiter gewonnen haben.
Sicherlich an erster Stelle ist die Beachtung und Bewahrung von Vielfalt zu nennen. Dabei geht es nicht nur um Pflanzen, Tiere und Milieus, sondern auch um die verschiedenen Lebensformen, Sprachspiele und Formen der Lebensführung, die von einer globalen digitalen Ökonomie und ihrem uniformen Lebensstil überformt werden.
Der zweite Punkt der Postmoderne richtete sich auf Unübersetzbarkeit von verschiedenen Sprachspielen. Hier bestehen augenfällige Gemeinsamkeiten mit der soziologischen Systemtheorie von Niklas Luhmann mit ihrer funktionalen Differenzierungsperspektive, die darauf besteht, die funktionale Ordnung und verschiedene Codierungen zu beachten. Aberglaube oder Irrtum sei es zu denken, so Welsch:
Der dritte Punkt der Postmoderne nahm die Auflösung der Metaerzählungen der Moderne in den Fokus. Dabei hat die Frage, wie diese verschiedenen Epochen auf dem Zeitstrahl angeordnet werden, inhaltliche Punkte leider verdrängt.
Sicherlich lassen sich noch einige andere Punkte ausdifferenzieren. Die Postmoderne-Diskussion ist nur zu verstehen von ihrem normativen Gehalt her. Sie ist in erster Linie eine philosophische und keine soziologische Alternative.
Die Postmoderne Sozialphilosophie beharrt auf der Notwendigkeit, die Vielfalt von Werten, Sprachspielen und Lebensformen zu achten, den Widerstreit zwischen Andersdenkenden oder einfach nach anderen Paradigmen Erkennenden / Lebenden / Arbeitenden zu kultivieren und das durch die herrschenden Diskurse ausgeschlossene Andere wieder einzublenden.
Mit Blick auf Fundamentalismen, Steuerung von massenmedialer Information, der zunehmenden Aufrüstung, der Abschottung von Wirtschaftsräumen und der Ausbreitung einer globalen Ökonomie, die den Planeten nach den Gewinnerwartungen von Investmentfonds zurichtet, lässt sich schwerlich die Aktualität der Postmoderne-Agenda abstreiten.
Selbstverständlich lassen sich die eben aufgerufenen Ambivalenzen ignorieren und damit befinden wir uns im Zentrum der Postmoderne Diskussion mit ihrem Konzept der Ambivalenz-Reflexion, wie sie beispielsweise Heiko Kleve und später andere in die Sozialwissenschaft eingebracht haben.
Eine vielmehr notwendig werdende Einblendung und Reflexion der Ambivalenzen zwischen verschiedenen Werten, Richtungszielen und Umsetzungsmöglichkeiten sollte bestenfalls dialogisch, wertschätzend bzw. integrativ vorgehen um die eigenen oder gemeinsamen blinden Flecke der vorgenommenen Beobachtungen einzublenden und damit eine andere Stufe von Erkenntnis und Entwicklung anzusteuern.
Das Erreichen von höherer Komplexität im Denken und Handeln ist keine Aufgabe, die auf bestimmte Zeitstellen im Entwicklungsverlauf der menschlichen Zivilisation beschränkt bleiben kann, sie ist eine Querschnittsaufgabe.
Die Postmoderne-Diskussion ist aufgrund der immerwährenden Bedrohung von Partikularem (Besonderen) durch das Generelle (Allgemeine) stetig aktuell. Denn es sind gerade die generell vorgehenden, allgemein gültig sein wollenden und von einzelnen Lebensformen oder Orten abstrahierenden Modelle, die das Einzelne, das Besondere und das Einmalige auf systematische Weise ausblenden und damit das Handeln auf fragwürdige Weise vereinfachen.